Medienübergreifende Betrachtung

Um zu beurteilen, wie sich verschiedene Verfahren, Techniken, Prozesse oder Dienstleistungen auf die Umwelt auswirken, müssen alle Umweltmedien betrachtet werden: Wasser, Klima, Luft und Boden. Das heißt auch, dass die Vorteile eines Verfahrens für einen bestimmten Umweltbereich gegen die Nachteile für einen anderen Umweltbereich abzuwägen sind.

Medienübergreifende Betrachtungen

Zur umweltbezogenen Beurteilung verschiedener Verfahren, Techniken, Prozesse, Dienstleistungen oder Verhaltensweisen ist eine integrierte Betrachtungs- und Herangehensweise erforderlich. Alle Umweltmedien und die verschiedenen relevanten Schadwirkungen auf diese müssen berücksichtigt werden.

So sind insbesondere bei der Festlegung des Standes der Technik (SdT) oder der Besten Verfügbaren Techniken (BVT) und der emissionsbegrenzenden Anforderungen an einen Industriesektor medienübergreifende Betrachtungen anzusetzen. Ziel hierbei ist es, die durch die industrielle Produktion verursachten Umweltbelastungen – zum Beispiel  mit produktionsintegrierten Verfahren – insgesamt zu minimieren. Dabei gilt es, insbesondere die Verlagerung von Schadstoffen von einem Medium in ein anderes zu verhindern.
Bei der medienübergreifenden Betrachtung ist es mitunter erforderlich, die Vorteile eines Verfahrens für einen bestimmten Umweltbereich gegen die Nachteile für einen anderen Umweltbereich abzuwägen. Dabei geht es nicht nur um Schadstoffemissionen in die verschiedene Umweltmedien Boden, Luft und Wasser und deren Wirkungen. Auch Aspekte wie Verbrauch von Rohstoffen, Flächeninanspruchnahme, Abfallanfall etc. können bei der Bewertung eine wichtige Rolle spielen.

Beispiele für medienübergreifende Betrachtungen

  1. Bei der Verabschiedung der ⁠TA Luft⁠ 2002 werden in der Glasindustrie höhere Emissionen an Schwefeloxiden zugelassen, wenn der Filterstaub in den Anlagen vollständig zurückgeführt wird, oder der Altglaseinsatz hoch ist. So sind die gesamtökologischen Auswirkungen der Glasproduktion am geringsten.
  2. Zur Reduktion der Ammoniakemissionen kann es erforderlich sein, das Abgas in einem sauren Wäscher zu behandeln. Dadurch entsteht zwar ammoniakhaltiges Abwasser. Dieses kann jedoch unproblematisch in einer biologischen Kläranlage nach dem Stand der Technik gereinigt werden.Diese verfahrenstechnische Lösung stellt keine Verlagerung von Schadstoffen in ein anderes Medium entgegen dem Stand der Technik dar. Damit spräche in diesem Fall auch eine medienübergreifende Betrachtung nicht gegen diese Lösung.

Das deutsche Anlagenrecht enthält seit langem das Verbot, entgegen dem Stand der Technik Schadstoffe von einem Medium in ein anderes zu verlagern. Die EU hat das Prinzip der medienübergreifenden Betrachtung für die industrielle Produktion in der Richtlinie über Industrieemissionen (IE) verankert. Sie schreibt bei der Genehmigung bestimmter Industrieanlagen ein medienübergreifendes Konzept für die Bestimmung der Besten Verfügbaren Techniken vor. Die ⁠IE-Richtlinie⁠ verlangt nämlich, dass die BVT ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt gewährleisten.

Bei der Festlegung des Standes der Technik oder der BVT unterscheidet sich das Ergebnis einer medialen Optimierung meistens nicht von dem einer medienübergreifenden Betrachtung. Daher ist in den meisten Fällen eine eingehende medienübergreifende Bewertung nicht erforderlich. Lediglich in Fällen, in denen die Verbesserung für ein Umweltmedium durch eine bestimmte Technik mit einer relevanten Verschlechterung eines anderen Umweltmediums einhergeht (so genannte medienübergreifende Effekte, cross media effects), ist eine systematische Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Technik erforderlich. Für die Behandlung medienübergreifender Effekte bei der Bewertung von Techniken hat die Europäische Union unter der ⁠IVU-Richtlinie⁠ (Vorgängerin der IE-RL) das BVT- Merkblatt zu ökonomischen und medienübergreifenden Effekten herausgegeben.

Darüber hinaus kann es bei der medienübergreifenden Bewertung in Einzelfällen notwendig sein, nicht nur die von einem Verfahren oder einem Produkt direkt ausgehenden Umweltbeeinträchtigungen zu betrachten, sondern auch solche, die in vor- oder nachgelagerten Prozessschritten verursacht werden. Eine solche übergreifende Betrachtung kann dann erforderlich sein, wenn sich bei den zum Vergleich stehenden Techniken oder Produkten die Vorprodukte (Primärrohstoffe, Zwischenprodukte, Energieträger) oder die Abfälle in ihrem Herstellungs- bzw. Entsorgungsaufwand stark voneinander unterscheiden. In diesen Fällen ist es angebracht, die betreffenden ⁠Stoff⁠- und Energieströme an Hand von Stoffstromanalysen  zu erfassen und gegebenenfalls die von ihnen verursachten potenziellen Umweltbeeinträchtigungen mit Hilfe von Ökobilanzen  zu bewerten.