Gewässertyp des Jahres 2023 - Mittelgebirgsfluss

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Naturnahe Gewässer bilden für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren Lebensräume. Die Gewässer unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Größe und ihrem Vorkommen in den Ökoregionen und Höhenlagen Deutschlands und werden in charakteristische Gewässertypen eingestuft. Der Gewässertyp des Jahres 2023 ist der "Mittelgebirgsfluss"

Inhaltsverzeichnis

 

Lebensraum

Der Mittelgebirgsfluss ist ein typischer Fluss unserer Mittelgebirgslandschaften, der aus zahlreichen Bächen gespeist wird und sich allmählich zu einem Fluss entwickelt. Er durchfließt viele Gesteinsarten und schneidet sich gleichermaßen in Granit, Gneis und Schiefer sowie in die Kalk- und Sandsteine jüngerer Epochen ein.

Im natürlichen Zustand weist dieses Gewässer eine sehr hohe Dynamik auf. Niederschläge in den Einzugsgebieten des Mittelgebirgsflusses werden kaum zwischengespeichert und führen schnell zu ansteigenden Abflüssen und Hochwasser. Durch die ⁠Abflussdynamik⁠ bewegt der Fluss Schotter, Steine und Kiese und bildet Nebengerinne, Inseln und Altwässer aus. In den strömungsberuhigten Bereichen können sich auch feinere Sedimente wie Sand und Lehm, aber auch Laub und ⁠Totholz⁠ ablagern.

Der typische Mittelgebirgsfluss ist sehr flach, variiert in seiner Breite und verlagert sich schnell. Jedes größere Hochwasser verändert die Ufer und es entstehen schnell steile Prall- und flache Gleithänge. An den Gleithängen bilden sich vegetationslose Schotter- und Kiesbänke. Im Längsverlauf wechseln sich flache, schnell überströmte und tiefe, langsam fließende Stellen ab. Die flussbegleitenden Auen sind vielfältig.

Der Mittelgebirgsfluss bietet vielen Tieren und Pflanzen Lebensräume. Auf größeren umströmten Steinen im Fluss siedeln sich sauerstoff- und strömungsliebende Kleinlebewesen an, wie Muscheln und Schnecken, Eintags-, Stein- und Köcherfliegen. Sie gehören zu den Wirbellosen, dem ⁠Makrozoobenthos⁠. Weitere Tiere finden sich in den sandig-schlammigen Ablagerungen zwischen Steinen, in Nebengerinnen und im Uferbereich.

Die eher kiesig-sandigen Ablagerungen werden bevorzugt von Großmuscheln, wie der gemeinen Flussmuschel besiedelt. Typisch ist zudem das flächendeckende Vorkommen von großen Wasserpflanzen, beispielsweise dem flutenden Hahnenfuß oder dem glänzenden Laichkraut.

Die artenreiche Fischfauna besteht je nach Flussabschnitt überwiegend aus Äsche, Bachforelle, Groppe oder Hasel. In feineren Sedimenten leben Bachneunaugen. Der Lachs nutzt den Mittelgebirgsfluss als Wanderroute, um in den Mittelgebirgsbächen zu laichen.  

Die Ufer des Mittelgebirgsflusses sind mit Erlen, Eichen, Eschen und Ulmen sowie von Weiden oder Röhrichten und Hochstauden bewachsen.

 

Nutzung, Belastung, Maßnahmen

Die Mittelgebirgsflüsse sind aufgrund der intensiven Nutzung und den Belastungen nur noch selten in einem natürlichen Zustand.
Zur Nutzung der Auen als landwirtschaftliche und urbane Flächen, für den Hochwasserschutz oder für die Wasserkraftnutzung wurden der Gewässerlauf begradigt und die Ufer befestigt . Dies hat den natürlichen Flusslauf über Jahre verändert und die Lebensräume für Tiere und Pflanzen stark verringert.


Nähr- und Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft und aus Kläranlagen vermindern die Wasserqualität. In fast zwei Drittel der Mittelgebirgsflüsse sind die Nährstoffkonzentrationen zu hoch. Neben Einträgen aus der Landwirtschaft sind vor allem die Abwässer aus Kommunen dafür verantwortlich. Trotz der erheblichen technischen Fortschritte bei der Abwasserreinigung finden immer noch zu viele Nähr- und Schadstoffe ihren Weg ins Gewässer. Dies führt zur ⁠Eutrophierung⁠ mit einem verstärkten Algen- und Pflanzenwachstum. Sterben Algen und Pflanzen ab, werden sie von Mikroorganismen zersetzt. Dabei wird dem Wasser viel Sauerstoff entzogen. Der Sauerstoffmangel wirkt sich negativ auf die im Wasser lebenden Tiere aus; im Extremfall mit tödlichen Folgen.
Auch die regenerative Stromerzeugung aus Wasserkraft belastet die Mittelgebirgsflüsse . Fast zwei Drittel werden energetisch genutzt. Dazu werden Querbauwerke zum Aufstau des Wassers und Turbinen in den Gewässerverlauf gebaut. Flussaufwärts sind sie für Äsche oder Lachs auf den Wanderungen in ihre angestammten Laichgebiete oft unüberwindbar. Flussabwärts ist häufig nur noch der Weg durch die Turbinen offen. Das führt zu Verletzungen; oft mit tödlichem Ausgang. Stauketten mit einer Vielzahl aufeinanderfolgender Wasserkraftanlagen gefährden daher ganze Populationen. Der Aufstau des Wassers verändert zudem die natürliche Fließdynamik des Mittelgebirgsflusses. Das wirkt sich auch auf den Sedimenttransport aus.


Der ⁠Klimawandel⁠ wird die bereits bestehende Belastungssituation verstärken. Lange Trockenphasen in den Sommermonaten mit vermindertem ⁠Wasserdargebot⁠ wirken sich zunehmend auf die Wasserqualität aus. Bei Starkregenereignissen werden aus urbanen und landwirtschaftlichen Flächen Schadstoffe vermehrt in die Gewässer gespült.
Maßnahmen für die Verbesserung des Zustands der Mittelgebirgsflüsse sind vielfältig. Renaturierungen stellen die natürlichen Gewässerstrukturen wieder her und verbessern Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Das bezieht auch die Wiederanbindung der Auen mit ein. So können Uferbefestigungen zurückgebaut und ein natürlicher Verlauf des Gewässers wiederhergestellt werden. Durch die Anbindung der ⁠Aue⁠ breiten sich Hochwässer wieder in der Aue aus und schwächen Hochwasserspitzen ab.


Nähr- und Schadstoffeinträge über das Abwasser aus kommunalen Kläranlagen lassen sich beispielsweise durch zusätzliche Phosphatfällungen verringern. Der Aus- und Neubau von Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe reinigt das Abwasser von Arzneimittelrückständen und anderen Spurenstoffen, so dass diese nicht mehr in die Mittelgebirgsflüsse gelangen
Maßnahmen an Wasserkraftanlagen sind vor dem Hintergrund der gewässerökologischen Anforderungen und für einen besseren Ausgleich zwischen ⁠Klimaschutz⁠ und Gewässerschutz notwendig. So sind beispielsweise Mindestanforderungen für einen ausreichenden Wasserdurchfluss in den Ausleitungsstrecken von Wasserkraftanlagen einzuhalten und Maßnahmen für den umfassenden Fischschutz erforderlich.

 

Vorkommen

Beispiele von Mittelgebirgsflüssen sind Murg (Baden-Württemberg), Tauber (Bayern), Untere Eder und Lahn (Hessen), Leine (Niedersachsen), Wupper (Nordrhein-Westfalen), . Kyll, Lieser, Ruwer, Wied, Nister, Speyerbach, und Wieslauter (Rheinland-Pfalz), Prims (Saarland), Chemnitz (Sachsen), Bode (Sachsen-Anhalt) und Schwarza (Thüringen). Im Kartendienst zum Gewässertyp des Jahres finden Sie dazu weitere Informationen.

Karte über Vorkommen der Mittelgebirgsflüsse
Vorkommen des Gewässertyps 2021 in Deutschland
Quelle: Umweltbundesamt
 

Zustand

Das Ziel der Europäischen ⁠Wasserrahmenrichtlinie⁠ ist ein guter ökologischer und chemischer Gewässerzustand. Um diesen Zustand zu ermitteln, werden die im Wasser lebenden Tiere und Pflanzen bestimmt, die Nähr- und Schadstoffe im Gewässer gemessen und die Lebensräume kartiert.
Aufgrund der intensiven Nutzung dieses Gewässertyps und den sich daraus ergebenden Belastungen erreichen derzeit nur drei Prozent der Mittelgebirgsflüsse einen guten Zustand (Abb. 1). Mehr als 50 Prozent sind als mäßig eingestuft und nur eine Klasse von den Zielen entfernt.
Verbesserungsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Lebensräume, zur Durchgängigkeit für wandernde Fischarten und einen naturnahen Wasserhaushalt werden dazu beitragen, die Ziele kurz- und mittelfristig zu erreichen.
Mehr als 40 Prozent der Mittelgebirgsflüsse sind als unbefriedigend und schlecht bewertet.

Kreisdiagramm über den ökologischen Zustand
Diagramm zum ökologischen zustand der Mittelgebirgsflüsse
Quelle: Umweltbundesamt

Größe

Flache Flüsse mit einer Einzugsgebietsgröße zwischen 100 und 1.000 Quadratkilometern. Die ⁠Aue⁠ kann bis zu 300 Meter breit sein.

Beispielgewässer

Bode (Sachsen-Anhalt), obere Unstrut (Thüringen), Sieber (Niedersachsen), Iltz, Schwarzach (Bayern), Bröl, Werre (Nordrhein-Westfalen), Sebnitz, Trieb, Wesenitz (Sachsen), Eder (Hessen)

Gewässerlauf

Sehr vielseitiger Flusslauf. In schmalen Tälern gestreckt mit Nebengerinnen, in breiten Sohlen- oder Muldentälern meist gewunden bis mäandrierend. Das Querprofil ist oft sehr flach. Wenn stärker gewunden, kommen typische Prall- und Gleithänge vor. Der Flusslauf ist durch den Wechsel von flachen, schnell überströmten (Schnellen) und tieferen, langsamer fließenden (Stillen) Stellen gekennzeichnet.

Strömung

Vorherrschend schnell und turbulent fließend, kleinräumig große Strömungsvielfalt. Der ⁠Abfluss⁠ kann nach Regenereignissen sehr schnell ansteigen. Es treten große Abflussschwankungen auf.

Sohlmaterial und typische Habitate

Vor allem grobe Schotter und Steine und auch Kies. Feinere Sedimente wie Sand und Lehm, Laub und ⁠Totholz⁠ finden sich zwischen den Steinen oder im Uferbereich. Es werden ausgedehnte Schotter- und Kiesbänke mit einem sauerstoffreichen Kies-Lückensystem gebildet.

Lebensgemeinschaft

Auf Grund der großen Habitatvielfalt ist die Gemeinschaft der Lebewesen, die die Gewässersohle besiedeln, sehr artenreich. Auf den Steinen und Schottern der rasch überströmten Schnellen leben sauerstoff- und strömungsliebende Arten. Die sandig-schlammigen Ablagerungen zwischen Steinen, in Nebengerinnen und im Uferbereich werden von Arten der Feinsedimente besiedelt. Die Fischpopulation besteht hauptsächlich aus Bachforellen, Groppen und Äschen. Auch der Lachs laicht in diesen Gewässern. Mittelgebirgsflüsse sind zudem häufig wasserpflanzenreich.

Hauptbelastungs-faktoren

Stoffeinträge aus Punktquellen, Veränderungen des Abflussverhaltens und Beeinträchtigung der Durchgängigkeit durch Querbauwerke und die Wasserkraftnutzung, Nähr-, Schadstoff- und Feinsedimenteinträge aus der Landwirtschaft; Gewässerausbau

Ökologischer Zustand (2021)

3 Prozent sind in einem guten, 51 Prozent in einem mäßigen, 38 Prozent in einem unbefriedigenden und 8 Prozent in einem schlechten Zustand

 

Typische Lebewesen

Glänzendes Laichkraut (Potamogeton lucens)

Das glänzende oder auch spiegelnde Laichkraut ist eine mehrjährige Pflanze und bewohnt die eher langsam fließenden Gewässerabschnitte der Mittelgebirgsflüsse. Von der Pflanze ragen lediglich die länglichen Blütenstände aus dem Wasser. Sie benötigt ein natürliches Sediment für die Ausbildung der Wurzeln und ist auch in Gewässerabschnitten mit höheren Nährstoffkonzentrationen zu finden. Wie alle größeren Wasserpflanzen bietet sie den kleinen Wasserorganismen Halt und Schutz.

Foto Glänzendes Laichkraut
Glänzendes laichkraut
Quelle: Andreas Rockstein
 

Langtasterwasserkäfer (Hydraena pulchella)

Die Langtasterwasserkäfer leben vorrangig in den silikatisch geprägten Mittelgebirgsflüssen. In Deutschland gibt es über 50 unterschiedliche Arten, einige davon stehen auf der Roten Liste, wie Hydraenae pulchella. Sie sind auf Fließgewässer angewiesen. Trotz ihrer Lebensweise in strömenden Gewässern können sie nicht schwimmen; vielmehr kriechen sie umher und sowohl die Larven als auch die adulten Käfer ernähren sich von Algen und höheren Pflanzen.

Aufnahme eines Langtasterwasserkäfers
Langtasterwasserkäfer
Quelle: Brigitta und Frank Eiseler
 

Äsche (Thymallus thymallus)

Viele Gewässerabschnitte der Mittelgebirgsflüsse werden als sogenannte „Äschenregion“ bezeichnet; die Äsche ist demzufolge der Leitfisch dieser Region. Sie stellt hohe Ansprüche an die Wasserqualität und steht in Deutschland auf der Roten Liste als „stark gefährdet“. Die Äsche ist ein Raubfisch und ihre große Rückenflosse wird als Äschenfahne bezeichnet. Sie ist ein beliebter Speisefisch und ihren lateinischen Namen „Thymallus“ verdankt sie ihrem Geruch nach Thymian. 

Foto des Fisches Äsche
Äsche
Quelle: Winfried Tommerdich
 

Fischotter (Lutra lutra)

Der Fischotter gehört zu den Mardern und ist ein sehr guter Schwimmer und Taucher. Er lebt an Flüssen, Bächen und Seen, aber auch Meeresufern und stellt aufgrund seiner Lebensweise sehr hohe Ansprüche an die Lebensraumqualität. Die Gewässer müssen sauber, fisch- und strukturreich mit natürlich bewachsenen Uferzonen und Überschwemmungsebenen sein. Der Rückgang solcher Lebensräume und die Bejagung haben dazu geführt, dass der Fischotter stellenweise verschwand und an vielen Stellen extrem selten geworden ist. Seit den 1990er Jahren breitet er sich in Deutschland langsam wieder aus. Dennoch wird der Fischotter auf der Roten Liste nach wie vor als gefährdet eingestuft.

Foto eines Fischotters
Fischotter
Quelle: Frank Hecker
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